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Türchen 15: die Pullovergans…eine wirklich wahre Geschichte!

von Hannelore Rodrian

In einem Vorort lebten in der hungrigen Zeit nach dem Krieg zwei nette alte Frauen. Damals war es sehr schwer  für Weihnachten einen Festbraten zu bekommen. Aber eine der beiden Frauen konnte bei einem Bauern, für allerlei Zeug, eine magere aber muntere Gans eintauschen. In einem Korb verpackt, brachte Fräulein Agathe das Tier nach Hause. Und sofort fingen sie und ihre Schwester an, die Gans zu hegen und zu mästen.
Die beiden Fräulein hatten eine Wohnung zur Miete im zweiten Stock. Und keiner im Haus wusste, dass in einer der Stuben der Schwestern ein Federvieh hauste, das verwöhnt, gefüttert und großzügig aufgezogen wurde. Agathe und Emma nahmen sich vor, keinem Menschen etwas davon zu sagen. Und das aus zwei Gründen: erstens gab es neidische Leute, die sich keine Gans leisten konnten, und zweitens wollten die Frauen um nichts in der Welt die Gans, wenn sie dick und fett und fein gebraten war, mit näheren Verwandten teilen. Darum hatten die beiden in den sechs Wochen bis zum 24. Dezember auch keinen Besuch mehr. Sie lebten nun ausschließlich für die Gans.

Und so kam dann der Morgen des 23. Dezember heran. Es war ein klarer, feiner Wintertag. Die ahnungslose Gans stolzierte vergnügt herum – ihren Korb hatte sie in der Küche nahe der Schlafstube der beiden Schwestern – und war ordentlich am Schnattern. Die beiden Frauen mochten sich nicht anschauen. Nicht, dass sie böse aufeinander waren, das natürlich nicht. Nein, nur war da die Frage, wer die Gans schlachten sollte.

„Das tust du!“ sagte Agathe, sprach‘s, stieg aus dem Bett, zog sich rasend schnell an, nahm die Einkaufstasche, überhörte den stürmischen Protest und verließ in geradezu hässlicher Eile die Wohnung.

Was sollte die arme Emma tun? Diese knurrte vor sich hin und dachte, ob sie nicht ihren Nachbarn fragen sollte, die Gans um die Ecke zu bringen. Doch diesen Gedanken ließ sie wieder fallen, denn sonst hätte man diesem Herrn auch einen großen Teil vom Braten abgeben müssen. Sie nahm sich ein Herz und machte sich an das gräuliche Unternehmen, nicht ohne dabei lauthals zu heulen.

Als Agathe nach einer ganzen Weile wieder nach Hause kam, lag die Gans auf dem Küchentisch und der lange Hals baumelte wehmütig pendelnd über die Tischkante herunter. Blut war keines zu sehen, dafür aber zwei alte nette Fräulein, die sich heulend in den Armen lagen.

„Wie…. wie….,“ schluchzte Agathe, „hast du es gemacht?“ „Mit… mit… VERONAL!“ heulte Emma zurück. „Ich habe ein paar von deinen Schlaftabletten aufgelöst und in das Futter gegeben und nun ist sie … huhu …. tot. Aber rupfen musst du sie… huhu…“ . so ging das Weinen und Schluchzen fort.

Aber weder Emma noch Agathe konnten sich dazu entschließen. In der Küche stand der leere Korb, da war keine Gans mehr, die schnatternd Guten Morgen sagte. Und so saßen die beiden eng umschlungen auf dem Sofa und heulten sich aus.

Endlich nahm sich Agathe zusammen und fing an, den noch warmen Vogel zu rupfen. Eine Feder nach der anderen flog in den Papiersack, der von Emma festgehalten wurde. Und dann sagte Agathe: „Emma, du nimmst die Gans nun aus!“ und ging in die Wohnstube, setzte sich auf das Sofa und heulte ins Kissen. Emma lief ihrer Schwester nach und sagte einfach, das könnte sie nicht tun.
Daraufhin einigten sie sich – denn es war schon spät am Abend-  das Unternehmen Gans auf den anderen Tag zu verschieben.

Am nächsten Tag wurden Agathe und Emma in aller Frühe aus dem Schlaf gerissen. Mit einem Ruck saßen die beiden Frauen gleichzeitig senkrecht im Bett und schauten mit großen Augen auf die offene Küchentür. Und wer kam da hereinspaziert? Eine empört schnatternde Gans, die am ganzen Leib zitterte und bebte!
Diese Geschichte ist tatsächlich wahr -  aber sie geht noch weiter. Als ich am Weihnachtsabend den beiden Frauen noch schnell ein kleines Päckchen bringen wollte, da kam mir doch wahrhaftig eine schnatternde Gans entgegen, die ich aber bloß am Kopf erkennen konnte, denn das ganze Tier steckte in einem warmen Pullover, den die beiden Frauen in aller Eile für ihren Liebling zusammengestrickt hatten!

Die Pullover-Gans hat noch sieben Jahre gelebt und ist dann eines natürlichen Todes gestorben.

Quelle: Animal Spirit – www.animal-spirit.at

Wer einen Engel sucht und nur auf die Flügel schaut, könnte eine Gans nach Hause bringen.

Georg Christoph Lichtenberg

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